Wildbienen

Die wilden Schwestern der Honigbiene

Auf die Frage: „Was fällt dir beim Wort Biene ein?“, sind die Antworten der befragten Personen unabhängig vom Alter ähnlich. Stichworte wie „Honig“, „Königin“, „Bienenvolk“, „sie stechen“ und „sie besuchen Blüten“ sind immer im Angebot. Offenkundig bestimmt die Honigbiene (Apis mellifera) unsere Vorstellung vom Wesen der Biene. Dabei gibt es sie gar nicht – die Biene! Vielmehr umfasst der Begriff eine große Fülle unterschiedlicher Arten mit sehr unterschiedlicher Lebensweise und damit Ansprüchen an ihre Lebensräume. Verständlicherweise hat die Honigbiene, die schon seit Jahrtausenden in menschlicher Obhut lebt, das Bild von der Biene (schlechthin) maßgeblich geprägt – bis hin zur Serienheldin der gleichnamigen Zeichentrickfilme, der Biene Maja.

Dabei ist die Honigbiene eine höchst ungewöhnliche Ausnahme im Reich der Hautflügler, zu denen Bienen, Wespen und Ameisen zählen. In Deutschland leben über 580 Arten von Wildbienen, in Baden-Württemberg sind es über 460. Die allermeisten dieser Tiere leben als so genannte Einsiedlerbienen, das heißt, eine einzelne Biene versorgt allein die Larven im Nest, das meistens in der Erde angelegt wird. Wenn man so will, sind die Weibchen dieser Wildbienen Königin und Arbeiterin in einer Person. Zwar gibt es auch Wildbienen, die Staaten (Völker) bilden, doch sind diese mit wenigen Hundert Arbeitsbienen verglichen mit denen der Honigbiene (viele 1000 Arbeitsbienen) sehr klein. Das gilt für die Hummeln, von denen allein in Deutschland rund 40 Arten vorkommen. Auch hier gilt: Die Hummel gibt es nicht, denn die Lebensweisen der Arten sind sehr verschieden voneinander.

Bild 1: Arbeiterin der Bunten Hummel (Bombus sylvarum) im Blütenstand des Topinamburs (Helianthus tuberosus). Die Körbchen der Hinterbeine sind noch nicht mit Pollen gefüllt (Foto: M. Klatt).

Bild 1: Arbeiterin der Bunten Hummel (Bombus sylvarum) im Blütenstand des Topinamburs (Helianthus tuberosus). Die Körbchen der Hinterbeine sind noch nicht mit Pollen gefüllt (Foto: M. Klatt).

Allen Bienen ist gemeinsam, dass sie reine Vegetarier sind. Sie leben sowohl als Larven als auch als erwachsene Tiere von Blütenprodukten, von Pollen und Nektar. Das unterscheidet sie von den Schmetterlingen, die zwar als Falter auch oft als „Blumenkinder“ unterwegs sind, deren Raupen aber meist von Pflanzenblättern leben.

Während nun die Honigbienen wenig wählerisch praktisch an allen Blüten Nektar saugen und Pollen sammeln, gibt es bei Wildbienen erstaunliche Spezialisierungen. Etwa ein Drittel der Arten sammelt den Pollen für die Larven nur an ganz bestimmten Pflanzen. Meistens zielt diese Spezialisierung auf Pflanzen innerhalb einer Pflanzenfamilie ab. So gibt es Spezialistinnen für Doldenblütler (z. B. Wilde Möhre), Kreuzblütler (z. B. Ackersenf) oder Schmetterlingsblütler (z. B. Zaunwicken). Manchmal sind diese Spezialisierungen und damit die Abhängigkeiten von den Nahrungspflanzen sehr eng. So sammelt die Gewöhnliche Natternkopf-Mauerbiene (Osmia adunca) Pollen nur an den Blüten des Natternkopfs, der in Mitteleuropa nur durch eine einzige Art vertreten ist, den Gewöhnlichen Natternkopf (Echium vulgare).

Bild 2: Ein Weibchen der Gewöhnlichen Natternkopf-Mauerbiene (Osmia adunca) besucht die Blüten des Gewöhnlichen Natternkopfs (Echium vulgare). Den blassblau gefärbten Pollen hat die Biene in ihrer Bauchbürste an der Unterseite des Hinterleibs gesammelt (Zeichnung: M. Klatt).

Vor dem Hintergrund dieser Abhängigkeiten mancher Wildbienen vom Blütenangebot ist es leicht zu verstehen, warum der Anteil der gefährdeten Bienenarten in den letzten Jahrzehnten beständig gestiegen ist. Die so genannte Rote Liste der gefährdeten Bienenarten wurde immer länger und umfasst heute weit mehr als die Hälfte aller Wildbienenarten Deutschlands. Einer der wichtigsten Gründe dafür ist das insgesamt immer knapper werdende und dabei zunehmend eintönige Angebot an Blütenpflanzen in der Landschaft und auch in unseren Siedlungen. Beachtet man, dass Wildbienen einen unverzichtbaren Beitrag zur Bestäubung unserer Obstbäume und vieler anderer Kulturpflanzen leisten, ist diese Entwicklung auch im Blick auf unsere Ernährung alarmierend!

Bild 3: Die Eingänge in die Bodennester der Gelbbindigen Furchenbiene (Halictus scabiosae) sind nur als schlichte Löcher zu erkennen (Foto: M. Klatt).

Auch im Nestbau sind viele Wildbienenarten sehr anspruchsvoll und genau wie bei den Blüten auf das passende Angebot in der Landschaft angewiesen. Weitaus die meisten aller Wildbienen bauen ihre Nester im Boden und benötigen auch dabei teilweise besondere Verhältnisse. So braucht die Dunkelfransige Hosenbiene (Dasypoda hirtipes) Sandböden zur Anlage ihres Nestes, die Vierbindige Furchenbiene (Halictus quadricinctus) dagegen bindigen Löß-Lehm.

Die Nester der nicht im Boden nistenden Wildbienen sind ungeheuer vielgestaltig und wiederum arttypisch. Grundsätzlich gilt, dass die Nistkammern, in die hinein der Pollen- und Nektarvorrat meist in Form einer kleinen Kugel eingetragen wird, in einem hohlen Gang liegen. Dieser Gang wird von einigen Bienenarten selbst in markhaltige Pflanzenstängel oder Holz genagt. Meistens nutzen aber die verschiedenen Arten bereits fertige Hohlräume. Hier ist die Vielfalt der genutzten Angebote enorm: Die Bohrgänge Holz bewohnender Käfer werden genauso besiedelt, wie Hohlräume zwischen Steinen (Trockenmauern!) oder leere Bambusröhren, wie sie oft in künstlichen Nisthilfen eingebaut werden.

Bild 4: Ein Weibchen der Gehörnten Mauerbiene (Osmia cornuta) krabbelt in ihr Nest in einem Bambusstab (Foto: M. Klatt).

Sogar leere Schneckenhäuser dienen als Wohnungsraum. Schließlich bauen sich manche Wildbienen die Wände um ihre Brutkammern selbst. So klebt die Zwergharzbiene (Anthidiellum strigatum) ein kunstvoll geformtes Gefäß aus dem Harz von Kiefern oder anderen Nadelbäumen zusammen, die Schwarze Mörtelbiene (Megachile parietina) verwendet Lehm und Steinchen, um regelrechte Häuser an Steinen festzukleben.

Bild 5: Wildbienen-Nisthäuser sind ein wichtiger Beitrag, um das Verständnis für die Lebensweise von Wildbienen zu fördern. Sie können allerdings nur einen kleinen Teil unserer Bienenarten unterstützen – zumeist die noch häufigen, ungefährdeten Arten (Foto: M. Klatt).

Wie bei den Nahrungsquellen kommt es auch bei den Nistplätzen auf eine große Vielfalt in der Landschaft an, die die Wildbienen brauchen. Für die Arten, die außerhalb des Bodens nisten, wurden in den letzten Jahren vielerorts und mit großem Engagement „Wildbienenhotels“ gebaut. Dabei ist zu berücksichtigen, dass diese Angebote den größten Teil der Wildbienen – eben die Bodennister – gar nicht erreichen. Dennoch fördern solche Nisthilfen bei richtiger Bauweise das Verständnis für „die wilden Schwestern der Honigbiene“.

Es gäbe noch Vieles über die Lebensweise der Wildbienen zu berichten, doch soll zum Schluss die Bedrohung dieser Tiere und die mögliche Hilfe thematisiert werden. Wie schon erwähnt, ist heute sowohl bundesals auch landesweit über die Hälfte unserer Bienenarten im Bestand gefährdet. Die Gründe liegen vor allem in der intensiven Nutzung der Landschaften.

Dazu gehört die Verbauung durch Verkehrswege sowie durch Industrie- und Wohngebiete. Besonders verheerend wirkt sich die heute praktizierte Landwirtschaft aus. Der dauernde Einsatz von so genannten Pflanzenschutzmitteln, Giften also, die gegen Wildkräuter, Insekten und Pilze eingesetzt werden, hat zu einer permanenten Umweltbelastung geführt, die die Vielfalt unserer Insektenwelt, also auch der Wildbienen massiv gefährdet. Damit einher geht die „Banalisierung“ unserer Landschaften. Intensiv genutzte Agrarflächen bestehen vielfach einzig aus den gewünschten Kulturpflanzen. Das noch vor wenigen Jahrzehnten zu findende Blütenangebot ist verschwunden.

Bild 6: Männchen der Blauschwarzen Holzbiene (Xylocopa violacea), eine besonders eindrucksvolle Art aus der Gemeinschaft unserer Wildbienen (Foto: M. Klatt)

All dies bedroht die Bienen insgesamt, die Honigbiene genau wie die Wildbienen. Es ist allerhöchste Zeit, durch eine naturverträgliche Landbewirtschaftung für eine gesunde Gemeinschaft blütenbesuchender Insekten zu sorgen. Honig- und Wildbienen zählen genauso dazu wie Schwebfliegen, Schmetterlinge und Käfer. Eine naturverträgliche Landwirtschaft, die für ein breites Angebot an Insektennahrung sorgt und weitgehend auf Umweltgifte verzichtet, liegt selbstverständlich in unserem eigenen Interesse, sollten wir auch in Zukunft Obst ernten wollen.

Martin Klatt